Von G. W. Fink.Allgemeine musikalische Zeitung (19 juni 1839)Ueber das Bedürfniss, Mozart's Hauptwerke unserer Zeit so metronomisirt zu liefern wie der Meister selbst sie ausführen liess.Jedermann weiss, wie oft bittere Klagen über das Verhanzen Mozartscher, Werke durch übertriebene Tempo worden sind. Die Klagen sind begrün det. Wären solche Fehlgriffe nur Uebereilungen geschmackloser und im Allgeimeinen nichtswissender Anfänger, so wäre davon kein Aufhebens zu machen. Aber wir haben selbst die Qual nicht selten auszustehen gehabt, dass von Dirigenten, die im Fache der Kunst nicht nur Kenntnisse, sondern auch glückliche Schöpfugskraft für eigene Kunsterzuegnisse und in Werken neuerer Meister schönes Darstellungsvermögen besitzen, Vieles und oft gerade das Bedeutendste der Herrlichkeiten des genannten Vorbildes gediegener Meisterschaft so jämmerlich entstellt, so völlig in's Verzerrte und Verworrene gepeitscht, auch zuweilen, aber seltener, gedehnt wurde, dass wir ein einmaliges Erlebniss der Art für eine akustische Täuschung oder für eine schlechte Stimmung unserer eigenen. Auffassungswerkzeuge erklären würden, hätte sich die widrige Thatsache nicht so oft wiederholt und uns zum Glauben an ein Unglaubliches gezwungen. Es grenzt in der That zuweilen an ein förmliches Rasen, so unbegreiflich wild und barbarisch gehen oft Männer mit Mozart's Geisteswerken um, und verderben allen Genuss, während' sie ihn zu erhöhen glauben. Und doch sind sie weder trunken, noch Tröpfe, vielmehr andrerseits gebildete Leute.
Das Uebel hat seinen Grund in der veränderten Zeit, die Alles im Fluge erhaschen und im Sturme erobern will. Wo es hingehört, ist es recht gut, so wohlthätig, wie Eisenbahnen, auf denen man sonst gewiss auch gern geflogen wäre, wenn man Sie nur gehabt hätte. Man stürmte sonst auch in mancherlei Dingen, und die Musik war davon nicht so ganz ausgenommen, wie Mancher sich jetzt bereden möchte. Manches Prestissimo von Haydn z. B. wird nur um so schöner, je flüchtiger und schneller es in Deutlichkeit und Abrundung vorgetragen werden kann. Rechte Meister, namentlich unter den Klavierspielern , machten es auch sonst so, und nahmen solche Sätze in einer Schnelligkeit, die, unsere Jüngeren Virtuosen der vergangenen Zeit kaum zutrauen würden. Ja es gibt Fugen, die eine schnelle Behandlung nicht nur vertragen, sondern für bessere Wirksamkeit fordern, wie z. B. eine zweistimmige von Händel, ob sie gleich nur mit Allegretto überschrieben ist: Allegretto
![]()  Fehlt ihr der stark ausgeprägte, den Vierteln zukommende Akzent nicht; so nimmt sie sieh in schneller Bewegung vortrefflich aus, wie wir sie auch von ältern Meistern vortragen gehört haben.
Man war also sonst auch nicht immer so zahm bedächtig, dass man sich gar kein rasches und geflügeltes Vorwärtsdrängen erlaubt hätte: nur suchte man die Ehre der Kunst lange nicht so vorzugsweise in Schnellläufen und ungeheueren Fiorituren, als es jetzt bei allerdings vorwärts gebrachter Mechanik in Ueberwindung von Fingerschwierigkeiten geschehen ist. Das Karakteristische, die Wahrheit und Echtheit eines stets, angemessenen Ausdrucks, das ästhetisch Schöne, das den Hörer in seinem ganzen Wesen lebendig ergreifen und ohne Ueberrumpelung und Täuschung veredeln soll, ist im Allgemeinen lange nicht mehr, wie ‚vor der Zeit des technisch Erstaunenswerthen, vorherrschender Hautzweck geblieben; sondern. die Eitelkeit der Virtuosenkünste hat sich obenan gesetzt; man verlangt nicht sowohl darnach, zu beseelen, sondern zu verblüffen, dass die Menge ausser sich geräth und frappirt sich zuruft: Das grenzt an Zauberei! Und s haben uns denn gar manche Eitelkeitskinder, die weiter nichts vor Augen haben, als wie sie uns ihre Kunststückchen oder auch wohl nur ihre Rumpeleien vormachen wollen; Streiche gespielt, die verlacht zu werden verdient hätten, aber dagegen von der leicht zu täuschenden Menge und von angestellten oder unwissenden Schreiberfingern bis in den Himmel erhoben worden sind Haben es doch Etliche schon gewagt, Schlusssätze von Beethoven mit toll übertriebener Abjagung zu verpfuschen, ohne dass solche Kindereien gebührend gerügt wurden. So hat sich denn das Abhetzen der Tonstücke in einer Zeit, die an sich schon nichts mehr, als Ruhe und Geduld verloren hat, die Alles gleich im Nu fertig haben will, bis in die Orchester verbreitet, dass man manchmal meint, der Kapellmeister stehe eben im Begriff, mit allen seinen Musikern durchzugehen.
Solche Dinge sind wie eine Seuche; sie greifen um sich, dass auch die Gesunden befallen werden, sie wissen nicht wie. Kurz das Uebel ist da, und jeder vernünftige Musiker und Musikliebhaber muss es zugeben. Das Gefühl für das Rechte ist aber durch vielfache Verwöhnung in Vielen schon verderbt, und man fängt an zu .streiten, was das Rechte ist. Einer will es so, der Zweite anders, und damit das Maass voll wird, jedes Mal nach Belieben. So ist es denn höchst nothwendig zu wissen, was jede Zeit, ja was jeder Meister irgend einer Zeit unter seinem immerhin unbestimmten Ausdrucke: Allegro, Andante u. s. w, für eine Bewegung verstanden wissen will, damit sich anders gewordene Zeiten nicht irren und auf ganz falsche Meinungen gerathen. Dazu ist der Metronom gut. Wir wünschten nur, wir hätten auch aus älteren Zeiten solche Angaben, wenigstens über die Werke der vorzüglichsten Meister. Durch die Anzeigen des Metronoms lernt man die zum Grunde liegende Bewegung des Tonstückes genau kennen, so dass man sich darin nicht mehr vergreifen kann. Diejenigen Stellen, die ein, Eilen oder ein Zögern vernünftig ästhetischer Weise zulassen, bleiben dem Darsteller der Hauptpartie immerhin frei, um das Innere seiner Empfindung zu versinnlichen.
Wir waren daher. schon längst gewiss, der Musikwelt.. einen Dienst zu thun, wenn wir uns müheten, tüchtige Musikkenner, die entweder den Meister selbst, oder doch von ihm selbst eingeübte Direktoren und Orchester, wo möglich früh in den ersten Jahren der Veröffentlichung, die Hauptwerke dirigiren und in's Leben stellen hörten, dahin zu bewegen, uns die von Mozart selbst genommenen Tempi sorgfältig zu metronomisiren. Nach manchem vergeblichen Versuche ist es uns endlich gelungen, einen Mann dafür zu gewinnen, der seiner Kenntnisse, Erfahrungen und Lebensverhältnisse wegen: au das Vollkommenste, dazu geeignet ist, einen Mann, dein selbst die vielen derartigen Ungebührnisse der neueren Zeit oft genug in das Herz schnitten und der daher diese Angelegenheit gleichfalls für einen wichtigen Dienst hält, welcher hochklassischer Musik dadurch erwiesen wird. Es ist kein geringerer‚ als Wenzel Johann Tomaschek, der uns zuvörderst mit der Metronomisirung des unvergänglichen Don Juan erfreuete, wobei er sich an die erste bei Breitkopf und Härtel erschienene Partiturausgabe streng gehalten hat. -- Wie sehr dieser vielfach ausgezeichnete Mann dazu geeignet ist, denn Bildung thut es hier nicht allein, wo wir nach Mozart's selbsteigener Temponahme fragen, wird aus Folgendem erhellen: Wenzel Joh. Tomaschek kam im Jahre 1791 nach Prag, folglich 4 Jahre nach der ersten dortigen Aufführung des Don Juan, den Mozart selbst in die Szene setzte und alle Proben persönlich geleitet hatte; Toniasehek hörte hier dasselbe von Mozart eingeübte Orchester und dieselben Sänger so oft, dass er die ganze Oper 1 auf nur vom Hören am Klavier zu spielen im Stande war, denn damals war noch kein Klavierauszug vorhanden, um auf solchem Wege mit dem Meisterwerke nähere Bekanntschaft machen zu können. Die Tempi sind alle genau angegeben, wie sie der würdige Mann unzählige Male von den Orchester ausführen hörte, das unter Mozart's eigener Leitung die Oper einstudirte, von welchem Orchester jetzt nur noch ein Einziger, lebt, der jedoch, auch schon zu alt ist, als dass er zu diesem Zwecke sonderlich brauchbar wäre. Es ist also in jeder Hinsieht zum Besten, der Kunst hohe Zeit; dass etwas dafür geschieht. Wir selbst sind über. das glückliche Gelingen unserer Bestrebungen und Anregungen so vergnügt und Herrn Tomaschek so dankbar, dass wir die erste Uebersendung dieser Metronomisirungen den geehrten Lesern ohne allen Aufschub mit' dem Versprechen mittheilen, es werden nach einiger Zeit auch der unvergessliche Figaro des Meisters, dessen Titus und einige Sinfonieen metronomisirt folgen. Zugleich haben wir noch die Freude, dem musikalischen Publikum die gewiss Vielen erwünschte Versicherung geben zu können, dass die Angabe der richtigen Tempi der neue, schon begonnenen Partiturausgabe des Don Juan, die bei Breitkopf und Härtet erscheint, beigefügt werden soll.
D o n J u a n Erster Akt
- Ouverture. Andante 92
Allegro molto 132 
- Introduction. Scena 1. No. 1. Nette e giorno. Allegro molto 104 ; Ah, soccorso! Andante 60

- No. 2. Recitativo. Ma dual mai s'offre, Allegro assai 80
; das Maestoso im Rezitativ 80 und das Andante 52 ; Allegro. Fuggi crudele, fuggi 100 ; Maestoso darauf bei den Worten Lo giuro 80 und das Adagio in tempo 63 und dann tempo primo 100 ‚ in dem Takte, wo die Worte stehen agli occhi tuoi, ist die Bewegung 60, bei amor folgt die erste Bewegung 100 
- No. 3. Ah chi me dice mai, Allegro 84
- No. 4. Madamina! Allegro 152
‚ darauf das Andante Nella bionda 96 
- No. 5. Allegro. Giovinette che fate 126

- No. 6. Andante. La ci darem la mano 88
; Allegro darauf 92 
- No. 7. Allegro. Ah fuggi il traditor! 112

- No. 8. Andante. Non ti fidar o misera 96

- No. 9. Recitat. Allegro assai 92
; das Andante darin 52 und das darauf folgende Andante 58 ; das tempo primo 92 ; das Andante darauf 58 , dann das tempo prinmo 92 
- No. 10. Andante. Or sai chi l'onore 69

- No 11. Presto. Finch’ han dal vino 116

- No.12. Andante grazioso. Batti, batti, o bel Masetto 88
; das Allegro darauf 92 
- No. 13. Finale. Allegro assai. Presto, presto! 100
; daruf das Andante Tra quest´ arbori celata 84 ; das Allegretto Core fate core 120 ; der Menuett darauf 96 ; dann Adagio Protegga il giusto cielo 52 ; Allegro 126 ; Maestoso Venite pur avanti 80 ; Menuetto 96 ; die beiden eingeflochtenen Orchester 2/4 und 3/8 Takt richten sich nach dem Tempo des Menuetts ; Allegro assai, juto, ajuto, gente! 116 ; Andante maestoso, Ecco il birbo 84 ; das letzte Allegro darauf Trema, trema 88 
Zweiter Akt
- No.1. Allegro assai. Eh via buffone 72

- No. 2. Andante. Ah taci ingiusto core 104

- No. 3. Allegretto. Deh vieni alla finestra 80

- No. 4. Andante, con moto. Meta di voi qua vadano 60

- No. 5. Andante, Vedrai carino 116

- No. 6. Andante. Sola, sola in bujo loco palpitar [Für die Digitale Bearbeitung leider nicht lesbar]
; darauf das All. molto, Mille torbidi pensieri 112 
- No. 7. Allegro assai. Ah per pietà 112

- No. 8. Andante. Il mio tesora in tanto 96
; Adagio. Di rider tinirai 69 ; die Fortsetzung Ribaldo audace hat dieselbe Bewegung.
- No. 9. Allegro. 0 statua gentilissima 160

- No. 10. Risoluto. Crudele 138
; Larghetto 69 ; Andante 88 , darauf das Allegretto 138
- No. 11. Finale. Allegro assai. Gia la mensa è pre parata 100
; Allegretto. Che ti par del bei concerto? 80 ; Allegretto. Frà i due frà i due litiganti 152 ; Moderato. Questa poi la conosco pur troppo 152 , darauf Allegro assai, L'ultima prova 72 Dann Allegro molto. Ah Signor! 112 ; Andante. Don Giovanni! 50 darauf Allegro. Da qual tremore insolito 96 ; All. assai. Ah dov'è il perfido 60 . Darauf Larghetto. Or che tutti 60 ; dann Presto. Questo è il fin 69 
Die später eingelegten Sätze.
- No. 1. Allegro assai. Recitativo. In quale eccessi 152
Allegretto. Mi tradi quell' alma ingrata 126 
- No. 2. Allegro di molto. Ho capito 144
Andante sostenuto. Dalla sua pace 88 
- No. 4. a Tempo. Restati quà 132
- Duetto: Allegro moderato. Per queste tue manine 116

[Leipzig 1839 (41. Jahrgang), Sp 477-481 ]
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